Notre Dame de Paris und der weite Raum…
Seit langer Zeit bin ich im September wieder einmal in Paris gewesen. Ich kenne die Kathedrale Notre Dame de Paris nur vor dem verheerenden Brand im April 2019. Als Kind fand ich sie immer etwas düster. Dann stehe ich auf dem großen Platz vor der Kirche. Die Steinfassade erstrahlt hell. Die beiden majestätischen Türme, die runde Rosette in der Mitte, die drei Portale darunter, ergeben im Gesamtaufbau vollkommen harmonische Proportionen. Kein Wunder, dass der Bau schon von außen beruhigend und wohltuend wirkt.
Dann gehe ich durch das Hauptportal hinein und bin überwältigt: Was für eine Weite, was für eine Helligkeit, was für eine Größe! Für mich ist das ein heiliger Ort, mit durchbeteten Wänden und neuerschaffener Majestät, ein Glaubensort aus Asche wieder auferbaut. Zu was wir Menschen doch fähig sind, wenn alle ihre Gaben einbringen. Miteinander können wir so viel Schönes und Gutes erschaffen!
Den Menschen in der Kathedrale geht es offensichtlich wie mir. Andächtig bewegen sie sich. Ein älterer Franzose flüstert mir zu: „C´est vraiment remarquable, quelle beauté!“ - „Das ist wirklich bemerkenswert, welche Schönheit!“ Und dann, als müsste es noch bekräftigt werden, setzt die imposante Orgel ein und bringt den gesamten Raum zum Schwingen.
Solche Kirchen sind wie Erinnerungszeichen, als wollten sie sagen: Gott ist da, mitten in dieser Welt und Glaube braucht Raum. Ja, wir brauchen den geschützten Raum, wo sich unsere Gedanken innerlich verdichten und wir mit allem, was uns ausmacht und beschäftigt vor Gott kommen. Deshalb ist es gut, dass unsere Erlöserkirche in Bad Kissingen, wie viele andere Kirchen auch, tagsüber geöffnet ist. Hier können Einheimische, Kurgäste oder Touristen für einen Moment Platz nehmen, ein Gebet sprechen, die Gedanken sammeln oder eine Kerze anzünden, für jemanden der fehlt beziehungsweise für einen Lichtblick, der gerade notwendig ist.
Gotteshäuser weisen über sich hinaus. Sie sind Hinweis auf den lebendigen Gott und Orte des gelebten Glaubens. Allerdings werden sie nur glaubwürdig sein, wenn das, was in ihnen gehört, gesprochen, geglaubt, gehofft und erkannt wird, auch nach außen dringt. Sie leben von den Menschen, die ein- und ausgehen und die wirken: innen wie außen.
Die momentane Diskussion um die Umwidmung oder Aufgabe von Kirchengebäuden sollte deshalb nicht leichtfertig geführt werden. Oft sind Kirchen die ältesten, teilweise auch die einzigen Baudenkmäler am Ort. Andererseits muss man auch klar Sehen, dass es immer mehr finanzielle Grenzen für den Gebäudeerhalt gibt. Gotteshäuser müssen, wie jedes andere Haus auch, unterhalten werden. Und damit dies weiterhin geschehen kann, wird man eine Auswahl treffen müssen, so schmerzlich das ist. Wichtig bleibt, würdig gestaltete Orte zu haben, in denen der weite Raum Gottes, mit seinen Möglichkeiten, spürbar bleibt.
Mit herzlichen Grüßen
Jacqueline Barraud-Volk
Jacqueline Barraud-Volk ist geschäftsführende Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Kissingen und Rundfunkpredigerin im Bayerischen Rundfunk

