Juruti Velho/Hammelburg/Sulzfeld am Main (POW) Der Unterricht ist eigentlich schon vorbei. Doch Lukas Weimer (19) aus Hammelburg und Felix Bäckmann (19) aus Sulzfeld am Main (Landkreis Kitzingen) sind immer noch umringt von Kindern, die mit ihnen spielen oder einfach nur quatschen wollen. Die jungen Deutschen sind seit September 2017 als „weltwärts“-Freiwillige in Juruti Velho im brasilianischen Partnerbistum Óbidos. Organisiert und begleitet wird ihr Aufenthalt vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und der Würzburger Diözesanstelle Mission-Entwicklung-Frieden, die für die konkreten Einsatzstellen vor Ort verantwortlich ist. Lukas und Felix fühlen sich sichtlich wohl: „Es ist wirklich alles perfekt.“
Tagsüber sind Lukas und Felix im „Núcleo“ zu finden. „Das ist ein Kultur- und Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche“, erklärt Lukas. Geleitet wird das Zentrum von Schwester Deca Amaral von den Franziskanerinnen von Maria Stern. Diese engagieren sich seit 1991 in Juruti Velho. „Das Ziel ist es, die Kinder von der Straße zu holen, wenn sie keine Schule haben“, sagt Lukas. In Brasilien funktioniere die Schule wie ein Drei-Schicht-Betrieb. Je nach Altersgruppe haben die Kinder am Vormittag, Nachmittag oder Abend Unterricht. Im „Núcleo“ können sie in der unterrichtsfreien Zeit Musikinstrumente erlernen, Sport treiben oder auch einfach gemeinsam spielen.
„Wir beide spielen Instrumente, das ist perfekt“, sagt Lukas. Er selbst gibt Flöten- und Keyboardunterricht für Kinder ab 13 Jahren und abends eine Keyboard-Klasse für Heranwachsende. Felix unterrichtet Gitarrengruppen für Anfänger und macht mit den Kindern und Jugendlichen Sport. „Fußball ist die Leidenschaft von allen“, erzählt er. Aber auch Völkerball, Handball und Seilspringen seien beliebt. Wenn kein Unterricht sei, gebe es trotzdem genügend zu tun – in der Küche, im Garten, beim Putzen. „Was so im Haus ansteht.“ Beide waren auch in ihren Heimatgemeinden ehrenamtlich engagiert und haben mit jungen Menschen gearbeitet. Lukas war daheim Ministrant und Organist und in der Jugendarbeit engagiert. Felix war Tutor, Fußballtrainer und gab Gitarrenunterricht. Die Arbeit im Núcleo sei anders, sagt Lukas. „Es gibt Kinder, die ohne Frühstück aus dem Haus gehen. Hier bekommen sie eine Zwischenmahlzeit und ein Mittagessen“, erzählt er als Beispiel.
Nicht nur im Núcleo, auch in die Gemeindeaktivitäten sind die beiden Deutschen komplett integriert. In den „comunidades“ Saude und Santa Clara – kleinen Basisgemeinden innerhalb der Pfarrei Juruti Velho – engagieren sie sich bei den Jugendtreffen. Lukas begleitet außerdem auf dem Keyboard Gottesdienste, die Kindermesse am Sonntagabend und probt auch mit dem Chor für die Kindermesse. Er und Felix haben bei der Aufführung der Leidensgeschichte Jesu am Karfreitag mitgewirkt. Sie stellten Soldaten dar und halfen beim Bühnenbild. „In unseren Arbeitspausen haben wir bei den Dekorationen geholfen, und abends waren die Proben“, erzählt Felix. Beim Kulturabend am „Tag des Indios“ begleitete Lukas den Gottesdienst in der Pfarrkirche Nossa Senora da Saude am Keyboard. Nach der Feier führte die Tanzgruppe einen mitreißenden traditionellen Tanz vor, bei dem auch Felix mitwirkte. „Wir haben eine Farinhada im Rhythmus des Carimbo getanzt“, erklärt er.
Nach Juruti Velho kamen sie auf unterschiedlichen Wegen. Lukas hatte sich gezielt für Juruti Velho beworben. Bereits 2015 war er mit der Pfarreiengemeinschaft „Sieben Sterne im Hammelburger Land, Hammelburg“ für eine Woche nach Óbidos und Juruti Velho gereist, um Sternschwester Johannita Sell zu besuchen. „Sie stammt aus Hammelburg“, erklärt er. Danach habe er den Blog des „weltwärts“-Freiwilligen Lukas Baden verfolgt, der 2016/2017 ebenfalls in Juruti Velho war. „Ich habe jede Kleinigkeit gelesen, die er geschrieben hat. Mir war klar: Da muss ich hin!“ Felix hatte in der Schule Spanisch gelernt und wollte ursprünglich nach Bolivien. Dann lernte er Christiane Hetterich vom Referat Mission-Entwicklung-Frieden kennen. „Sie hat Werbung für Brasilien gemacht“, erzählt er. Mit Erfolg.
Das Jahr in Brasilien hat beide verändert. „Ich habe sehr viel über mich nachgedacht und darüber, wofür ich meiner Familie dankbar bin“, sagt Lukas. Und er habe einen Vorgeschmack auf das Berufsleben bekommen, auch wenn Arbeit an sich für ihn nichts Neues gewesen sei. „Ich habe auch daheim schon Klavierunterricht gegeben. Aber jetzt weiß ich, wie es ist, fünfmal die Woche sieben Stunden zu arbeiten.“ Felix nickt und ergänzt: „Man lernt, Dinge wie Freundschaft und Gemeinschaft mehr zu schätzen. Man lernt, dankbar zu sein.“
Felix möchte bis zum allerletzten Tag seines Brasilienaufenthalts in Juruti Velho bleiben und Zeit mit Freunden verbringen. „Ich will die ganze Zeit hier ausnutzen. Ich will neue Dinge kennenlernen und lernen, wie Farinha machen oder Fischen gehen. Ich werde alles vermissen – die Arbeit, meine Freunde, die Landschaft und Natur, das Essen und die Früchte.“ Ende August heißt es auch für Lukas, Abschied von Juruti Velho zu nehmen. „Ich werde die mir liebgewonnenen Menschen, Freunde, Ordensschwestern, Kinder und Jugendlichen aus dem Projekt vermissen“, sagt er. Und noch etwas wird ihm fehlen: „Die Ruhe von Juruti Velho kann ich leider auch nicht mitnehmen. In Deutschland ist alles hektischer und lauter.“
Kerstin Schmeiser-Weiß (POW)
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